Lebensmittelversorgung

Aus den Erinnerungen Reinhold Schafers (1904-1992), dem Enkel des Erzfrachters:

„Mein Großvater Josef und später der Onkel Heinrich hatten von 1880 bis 1928 den Erztransport auf den Pferdebahnstrecken und Erzstraßen von St. Martin am Schneeberg bis zum Bahnhof in Sterzing übernommen. In den zwei letzten Jahren (nach der Inbetriebnahme der Seilbahn) verblieb ihnen lediglich der Transport des Erzes von Mareit bis nach Sterzing.

Auf den Rückfahrten versorgten sie gleichzeitig die Bergwerksbelegschaft mit Lebensmitteln.

In Maiern und am Schneeberg unterhielten sie größere Lebensmittellager. In St Martin am Schneeberg betrieben sie auf Grund einer Genehmigung durch die damalige Passeirer Gemeinde Rabenstein einen Viktualienhandel und führten zeitweise auch das Gasthaus. Da die Bezahlung der Knappen durch den österreichischen Staat nur sehr unregelmäßig erfolgte, wurde meinem Großvater gestattet, eigene Silber- und Kupfermünzen prägen zu lassen, mit welchen die Knappen die Lebensmittel bei ihm beziehen konnten. Die schweren, mit Eisen beschlagenen Erzwägen und -schütten, welche bis in die fünfziger Jahre am heimatlichen Schaferhofe herumstanden, habe ich leider alle zerlegt und davon etwa elf Tonnen der Beschläge als Alteisen verkauft."

Aufgrund der extremen Höhenlage der Gruben von 2000 bis 2500 m war der Schneeberg mehr als andere, tiefer liegende Bergwerke auf die Lebensmittelversorgung von Außen (Unten) angewiesen. Am Schneeberg selbst wächst an geschützten Stellen von den kultivierten Pflanzen nur mehr der Schnittlauch. Rindvieh, Ziegen und Schafe finden von Juli bis Anfang September auf der noch heute zum Bergwerk gehörenden Alm eine bescheidene Weide. Neben dem Gämswild, welches die Knappen nach altem landesfürstlichen Privileg frei jagen durften, bot der Schneeberger Schwarzsee auf 2600 m eine beschränkte Menge von kleinen Fischen (Seiblingen).

Bedenkt man in der Blütezeit um 1500 eine Belegschaft von 1000 Personen am Schneeberg, so kann der Aufwand in der Lebensmittelversorgung doch nur erahnt werden. Energiereiches Fleisch bildete neben den Getreidesorten Roggen, Weizen, Buchweizen, Gerste, Hafer und Hirse die Hauptnahrung. Bereits im Jahre 1486 (am Samstag nach Mathei) wurde an Wastian Mezger eine Fleischbank (Metzgerei) am Schneeberg verliehen, welche auf der Ansicht von 1556 abgebildet ist und deren Grundmauern noch heute oberhalb der heutigen Knappensiedlung bestehen. Das Fleisch wurde, freilich noch in Form lebender Tiere, großteils von Ungarn und der Steiermark zollfrei über das Pustertal auf den Schneeberg getrieben. 1553 waren es noch über 300 Tiere, 1559 etwa 250 ungarische Ochsen, ab 1591 jährlich an die 150 Stück. Die Tiere wurde im Frühsommer auf den Schneeberg gebracht und dort gehütet. Nach und nach wurden sie geschlachtet und verwertet, da natürlich in der arbeitsintensiven Sommerzeit der Fleischbedarf am größten war. Der verbliebene Rest der Herden wurde im Herbst, bevor die Zufütterung notwendig wurde, geschlachtet und konserviert. Methoden der Konservierung waren das Pökeln mit Salz, das Aufbewahren in den kühlen Stollen, winterliches Einfrieren und hauptsächlich das Räuchern. Nach 1620 ging der Fleischverbrauch, parallel zum Bergsegen, allmählich zurück. Fleisch wurde zu teuer, die Hauptnahrung verlagerte sich auf Getreideprodukte.

Milchprodukte und Frischmilch als dritte Hauptnahrungsgruppe wurden in den Wintermonaten täglich von Saltnuß, der nächsten Dauersiedlung im Passeier, auf den Schneeberg getragen. Im Sommer versorgte die eigene Alm das Bergwerk. Zusätzliches Schmalz (Butter, Fett) und Käse kamen hauptsächlich über das Timmelsjoch vom naheliegenden Ötztal.

Ab 1874 vereinfachte sich mit der Inbetriebnahme der Übertagförderanlage auf Schienen auch die Versorgung mit Lebensmitteln und anderem Bedarf. Die Güter kamen als Gegengewicht zum Erz, welches nach Maiern in die Aufbereitung gebremst wurde, auf den Schneeberg. 1924 übernahm die Seilbahn diese Aufgabe. Frische Lebensmittel kamen täglich auf den Berg - und so manches ausgehungerte Hirtenkind wartete schon um sieben Uhr in der Früh am Übergang der Seilbahn auf der Schneebergscharte, um sich schnell ein kleines Brot aus einer Lore zu schnappen, als Nahrungszusatz für den langen Tag.

Pfennwerte: Schon früh hatten die Grubenbesitzer (Gewerken) erkannt, daß sich am Schneeberg mit dem Vertrieb der notwendigen Lebensmittel - neben dem Profit aus dem Erz - ein zusätzlicher, gewinnbringender Geschäftszweig anbot. Ein wesentlicher Teil des Lohnes wurde daher in Form von Lebensmitteln, Beleuchtungsmaterial (Unschlitt, Öl, Wachs), Werkzeug und Bekleidung, den sogenannten Pfennwerten verrechnet. Der restliche Bargeldlohn war das sogenannte “Freigeld”. Mit der Zeit gerieten die Knappen in eine immer größere Abhängigkeit von der willkürlichen Versorgungspolitik ihrer Dienstherren, da allgemein in Tirol zur Hochblüte des Bergbaues große Nahrungsmittelknappheit herrschte - und sowohl Fleisch als auch Getreide und Schmalz in großem Stile aus den Nachbarländern importiert werden mußten. Durch überhöhte Pfennwertpreise drückten die Gewerken indirekt die Löhne und lasteten zusätzlich mit dem Transport der Pfenngüter die leeren Saumtierkarawanen, welche zurück aus dem Inntal auf den Schneeberg zogen, bestmöglich aus. Selbst die führenden Inntaler Gewerkenfamilien Tänzl und Stöckl, wie auch der Sterzinger Flam, schlugen große Gewinne aus dem Pfennwerthandel; die Fugger und der landesfürstliche Bergwerkshandel nicht minder. Nahrungsmittelspekulationen (“eigennütziger Fürkauf”) und zu teurer Verkauf minderwertiger Produkte standen an der Tagesordnung. Schriftliche und mündliche Klagen und Proteste der ausgelieferten Knappen am Berg folgten natürlich sogleich. Extreme Reaktionen der durchaus selbstbewußten Knappen als gesuchte Facharbeiter waren Arbeitsniederlegungen (Streiks) und das endgültige Verlassen des Berges und Überwechseln in ein anderes Bergwerk. In allen Bergordnungen von 1427 bis zur Verabschiedung des Österreichischen Berggesetzes 1854 versuchten die jeweiligen Landesherren den Pfennwerthandel zu regeln und für Preisgerechtigkeit zu sorgen. Verbote, Mahnungen und Preisfestschreibungen schafften jedoch meist nur kurz Abhilfe, da politische und wirtschaftliche Veränderungen, Kriege, Inflationen und Mißernten - wenn sie auch in den Nachbarländern geschahen - die gesamten Rahmenbedingungen öfters nachhaltig veränderten.

Bis zum Neubeginn des staatlichen Bergbaues 1871, als alle Löhne in Bargeld ausgezahlt wurden, blieb die Pfennwertproblematik ein Dauerstreitpunkt am Schneeberg.

Im Jahre 1558 dichtet Georg Rösch von Geroldshausen im ”Tiroler Landreim” folgenden passenden Reim: “Pesser digen (geräuchertes) Fleisch wirt nit gfunden zwar, als am Schneeperg übrs ganze Jahr. Mit wenig Rauch daselbst gedert (gedörrt), der Luft an Feuchtigkeit verzert.”